Arbeitsbezogener Stress in der ökonomischen Modellbildung
Die ökonomische Theoriebildung ist seit Mitte des letzten Jahrhunderts geprägt durch eine mathema-tische Herangehensweise. Dies macht die Wirtschaftswissenschaften aus methodischer Sicht einzigartig in den Sozial- und Gesellschaftswissenschaften. Andere sozialwissenschaftliche Disziplinen wie die Wirtschaftspsychologie und Wirtschaftspädagogik, die bislang verbalisierte Stressmodelle verwenden, können von dieser methodischen Stringenz gewinnen. Wenn etwa, wie oben erwähnt, seit längerem die Forderung im Raum steht, zeitliche Aspekte der Entstehung und des Verarbeitens von Stress genauer zu untersuchen, dann bietet es sich an, ein explizit dynamisches Modell zu entwickeln, das genau diese Aspekte abbildet.
Synergien durch Berücksichtigen ökonomischen Denkens können auch auf inhaltlicher Ebene erfolgen. Wie im Abschnitt zu Vorarbeiten dargestellt wurde, hat die Dynamik von Stress bisher in der Ökonomie konzeptionell noch keine Aufmerksamkeit bekommen. Die Entstehungs- und Verarbeitungsprozesse von Stress genauer zu verstehen wäre jedoch aus ökonomischer Sicht umso wichtiger, da die Arbeitswelt, d.h. die Wirtschafts- und Finanzwelt, überbordet an Stressoren: Neue Technologien, Globalisierung und Finanzmarkt- oder auch Eurokrisen verbunden mit der einhergehenden Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit ganzer Generationen (z.B. in vielen südeuropäischen Ländern) stellen Menschen vor teilweise unüberwindbar erscheinende Probleme, die nicht nur professioneller und rationaler, sondern vielmehr auch emotionaler Natur sind. Was aktuell fehlt, ist ein ökonomisches Konzept von Stress und die Rückwirkung von Stress auf makroökonomische Größen. Ein interdisziplinäres Minigraduiertenkolleg zu zeitlichen Aspekten von arbeitsbezogenem Stress profitiert also durch den Einbezug der Ökonomie und die Ökonomie profitiert, da sie mehr psychologisches Wissen benötigt. Diese Ansicht wird von führenden Ökonomen weltweit geteilt (Rabin, 2013).
Es empfiehlt sich, Stress W(t) als Zustandsvariable (im Sinne der optimalen Kontrolltheorie) zu modellieren, deren Dynamik durch eine stochastische Differentialgleichung beschrieben werden kann:
dW(t) = f (W(t),m(t))dt + g(W(t),h(t))dq(t)
In dieser Gleichung beschreibt m(t) alle Maßnahmen eines Individuums zur Reduktion von Stress. Diese Maßnahmen beeinflussen die Änderung des Stressniveaus dW(t) auf eine deterministische Weise so, wie durch eine Funktion f(.) genauer zu spezifizieren wäre (siehe Wälde, 2014). Die vorhersehbare Entstehung von Stress wird ebenfalls durch diese Funktion abgebildet. Überraschend auftretende stressauslösende (oder auch stressreduzierende Effekte) sind in der Funktion g(.) enthalten. Überraschungen erfolgen zufällig mit einer gewissen Rate, die den Poissonprozess q(t) definiert. Bewertungsprozesse (‚appraisal‘) werden sowohl durch die Funktion f(.) als auch die Funktion g(.) abgebildet. Nachdem die Kontrollvariable m(t) von einem von Stress betroffenen Individuum gewählt wurde, beschreibt diese Gleichung die Dynamik des Aufbaus und Abbaus von Stress über die Zeit.
Literatur
Wälde, K. (2014).Stress and Coping: An Economic Approach.Mimeo Johannes-Gutenberg-University Mainz, www.waelde.com/pub.