Optimale Intervalle bei längsschnittlichen Studien zu sozialen Stressoren bei der Arbeit
Eine Vielzahl querschnittlicher Meta-Analysen hat gezeigt, dass Stressoren und Stressfolgen mittelmäßig oder sogar hoch miteinander korrelieren (z.B. Burnout; Alarcon, 2011), wohingegen längsschnittliche Meta-Analysen gezeigt haben, dass zwischen Stressoren und späteren Stressfolgen (zeitverzögerte Effekte bei statistischer Kontrolle der Ausgangszustände) keine oder nur sehr kleine Beziehungen bestehen (z.B. Dormann & Haun, 2011; Ford, Matthews, Wooldridge, Mishra, Kakar, & Strahan, 2014; Nielsen & Einarsen, 2012). Dieser Widerspruch wird oft damit erklärt, dass die in längsschnittlichen Studien verwendeten Zeitintervalle „nicht optimal“ sind. Dormann und Griffin (in Revision) haben optimale Zeitintervalle auf Grundlage von Differentialgleichungsmodellen hergeleitet und daraus abgeleitet, dass lange Zeitintervalle für die Untersuchung psychischer Stressphänomene in den seltensten Fällen gerechtfertigt erscheinen.
Es existieren bislang keine empirischen Studien, die systematisch den Verlauf von zeitverzögerten Effekten von Stressoren auf Stressfolgen über unterschiedliche Zeitintervalle abbilden. Außerdem existieren praktisch kaum Studien mit kurzen (wenige Wochen) bis sehr kurzen (ein Tag) Zeitintervallen. Dies soll anhand der Auswirkungen sozialer Stressoren, d.h. Belastungen im zwischenmenschlichen Bereich, betrachtet werden. Dabei wird über die existierende Forschung auch insofern hinausgegangen, als eine bislang in der Literatur kaum betrachtete Quelle der Belastung untersucht wird, nämlich die Rolle der Mitarbeitenden Stressor für die Vorgesetzten. Theoretisch fußt die Annahme, dass die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen einen Stressor darstellen, auf dem stress-as-offense-to-self Modell (SOS Modell; Semmer, Jakobshagen, Meier, & Elfering, 2007). Der Selbstwert stellt dem Modell nach eine wesentliche Ressource dar und soll daher als Ressource (Resilienzfaktor) untersucht werden. Untersucht werden sollen die zeitlichen Charakteristiken von Stress-Crossover Prozessen zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitenden und die zeitliche, kurz- und mittelfristige Entfaltung der Auswirkungen der Crossover-Prozesse. Betrachtet werden die Auswirkungen auf die Gesundheit und das Leistungsverhalten.
Ziel des geplanten Dissertationsprojektes soll deshalb sein, systematisch die Effekte von mitarbeiterbezogenen Stressoren über verschiedene, kurze bis mittelfristige Zeitintervalle zu analysieren. Damit sollen zwei Fragen beantwortet werden. Zum einen geht es um die Frage optimaler Intervalle, d.h. jener Zeitabstände, für die ein zeitverzögerter Effekt besonders groß wird. Zum anderen sollen jene Merkmale von Führungskräften identifiziert werden, die die Dauer beeinflussen, mit der Stressfolgen bestehen bleiben (Resilienzmerkmale). Hierzu sollen neuere Ansätze verwendet werden, die sogenannte Drift-Parameter schätzen (Völkle et al., 2012). Drift-Parameter drücken die zeitliche Änderung von Variablen und ihrer Beziehungen untereinander aus. Diese Drift-Parameter sollen in einer empirischen Studie geschätzt werden mit Hilfe einer stochastischen Differentialgleichung der Art (vgl. Wälde, 2012, Kap. 10)
dx(t) =(Ax(t) + b)dt + GdB(t).
Dabei ist x(t) ein V × 1 Vektor der die V Variablen des untersuchten Models enthält, A ist die V × V Drift-Matrix, b ist ein V × 1 Vektor der die Regressionskonstanten über die kontinuierliche Zeit abbildet, G ist die Cholesky Dreiecksmatrix, und dB(t) der Zufallsprozess über die kontinuierliche Zeit. Dabei ist dB(t) das Inkrement der Brownschen Bewegung. Das Matrixexponential von A lässt sich dann weiter auf ein Optimum untersuchen (Dormann & Griffin, in Revision) und so die Zeitintervalle bestimmen, in denen die Wahrscheinlichkeit maximal ist, tatsächlich vorhandene Kausalbeziehungen zwischen den Variablen empirisch nachzuweisen.
Zur Untersuchung der geplanten Fragestellung des Dissertationsprojekts sollen sogenannte Tagebuchdesigns eingesetzt werden. Die Analyse der zeitverzögerten Effekte soll dabei sowohl auf der Ebene „innerhalb“ (Level 1 in der Terminologie hierarchischer linearer Modelle) als auch „zwischen“ den Personen (Level 2) durchge-führt werden. Ziel des geplanten Postdoc-Projekts soll sein, mit Daten aus einem gerade abgelaufenen Forschungsprojekt (emotionaler Stress bei der Arbeit, N = 100 Doppelverdienerpaare, T = 40 Messzeitpunkte mit variierenden Zeitintervallen von 15 Minuten bis 12 Tagen) eine Ausweitung der dynamischen Modellierung zu realisieren. Diese Ausweitung strebt zum einen an zu berücksichtigen, dass die Messintervalle zwischen den einzelnen Befragungen der an der Untersuchung Teilnehmenden stark variieren.
Zum zweiten sollen die bei diesen Daten anfallenden zirkadianen Prozesse adäquat mit stochastischen Differentialgleichungen modelliert werden. Die vorhandenen Daten ermöglichen es dem/der Postdoktoranden/in, bereits in kurzer Zeit wissenschaftliche Publikationen zu realisieren und damit eine attraktive Ausgangsbasis für die eigene Weiterqualifizierung zu schaffen. Diese wissenschaftlichen Arbeiten stellen eine Ergänzung zu den Promotionsvorhaben dar. Sie liefern die Grundlagen für zukünftige Forschungsprojekte und die Einwerbung der dafür erforderlichen Drittmittel.
Literatur
Alarcon, G. M. (2011). A meta-analysis of burnout with job demands, resources, and attitudes. Journal of Vocational Behavior, 79, 549-562.
Dormann, C. & Haun, S. (2011). Longitudinal effects of stress at work: A meta-analysis. 26th Annual Conference Program of the APA Division 14 Society for Industrial and Organ
izational Psychology (SIOP), April 14-16, 2011, Chicago, IL [Abstracts]; Apr 2011; 40.
Dormann, C. & Griffin, M. (revisions pending). Optimal time intervals in longitudinal studies.
Ford, M. T., Matthews, R. A., Wooldridge, J. D., Mishra, V., Kakar, U. M., & Strahan, S. R. (2014). How do occupational stressor-strain effects vary with time? A review and meta-analysis of the relevance of time lags in longitudinal studies. Work & Stress, 28(1), 9-30.
Nielsen, M. B., & Einarsen, S. (2012). Outcomes of exposure to workplace bullying: A meta-analytic review. Work & Stress, 26(4), 309-332.
Nylund, K. L., Asparouhov, T. & Muthén, B. O (2007). Deciding on the number of classes in latent class analysis and growth mixture modeling: A Monte Carlo Simulation Study. Structural Equation Modeling, 14(4), 535-569.
Semmer, N. K., Jakobshagen, N., Meier, L., & Elfering, A. (2007). Occupational stress research: The „stress-as-offense-to-self“ perspective. In J. Houdmont & S. McIntyre (eds.), Occupational Health Psychology: European Perspectives on Research, Education and Practice (Vol. 2) (pp. 43-60). Maia, Portugal: ISMAI Publications.
Voelkle, M. C., Oud, J. H. L., Davidov, E., & Schmidt, P. (2012). A SEM approach to continuous time modeling of panel data: Relating authoritarism and anomia. Psychological Methods, 17, 176-192.
Wälde, K. (2014). Stress and Coping: An Economic Approach. Mimeo Johannes-Gutenberg-University Mainz, www.waelde.com/pub.